„Zum ewigen Frieden“
Friede anno 48 - Karl Amadeus Hartmann
Geistliche Chormusik op. 11 von Heinrich Schütz

Konzertinformation

Komponieren in düsteren Zeiten
von Mathias Lehmann (Text aus dem Programmheft der Bayerischen Staatsoper)




Chormusik von Karl Amadeus Hartmann und Heinrich Schütz
Im Jahr 1648 fand der Dreißigjährige Krieg mit dem in Osnabrück und Münster ausgehandelten „ Westfälischen Frieden" sein von allen Zeitgenossen ersehntes Ende. Durch die Kriegshandlungen dieses großen, ganz Mitteleuropa umspannenden Krieges sowie durch die daraus resultierenden Hungersnöte und Seuchen waren weite Teile Deutschlands nahezu entvölkert und die Einwohnerzahl in Deutschland um fast zwei Drittel reduziert. Einer der eindrucksvollsten literarischen Chronisten des Dreißigjährigen Krieges war der Dichter Andreas Gryphius (1616-1664 ), dessen Gedichte - Grundlage der Komposition Friede Anno 48von Karl Amadeus Hartmann die Schrecken des Krieges und seiner Folgen uns bis in die Gegenwart im Gedächtnis halten. Sein Sonett Tränen des Vaterlandes(1636) zählt zu den bekanntesten Texten über den Dreißigjährigen Krieg überhaupt. Das fatalistisch anmutende Ende nach drei Strophen voller eindrucksvoller Schilderungen der Kriegsgreuel berührt noch heute: ,,Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, / Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot, / Das auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen." Auch das Leben Heinrich Schütz' (1585-1672) stand unter dem Zeichen dieses Krieges. Kurz nachdem er 1617 als 32-Jähriger das Amt des Kurpfälzischen Hofkapellmeisters angetreten hatte, brach der Krieg aus. Schon nach wenigen Jahren wurde in Dresden das Musizieren mit größeren Ensembles für lange Zeit unmöglich. Im Jahr des Westfälischen Friedens von 1648 war Schütz bereits über 60 Jahre alt- ein gerade in dieser Zeit hohes Alter, in dem niemand zu sagen vermochte, wie viel Zeit ihm noch verbliebe. Zu Beginn des heutigen Konzertes erklingen eine Auswahl zweier Kompositionszyklen, die Schütz angesichts des sich abzeichnenden Ende des Krieges in kurzer Folge herausbrachte: Seine Sammlung geistlicher Concerti Symphoniae sacrae II (1647) und seine Motettensammlung Geistliche Chormusik (1648). Die Herausgabe dieser zwei großen Sammlungen zu jenem Zeitpunkt war sicherlich kein Zufall. Zum einen drück,: die Auswahl der vertonten Texte, von denen viele Elend und die Hoffnung auf Erlösung thematisieren, auch Schütz' ganz irdisches Hoffen in diesen düsteren Zeiten im Vorfeld des Westfälischen Friedens aus. Zum anderen präsentierte sich Schütz mit diesen Sammlungen geistlicher Concerti und Motetten der Welt auf dem Zenit seiner kompositorischen Fähigkeiten. Noch einmal positionierte er sich als Meister eines streng kontrapunktischen Stils zu einer Zeit, in der bei der jüngeren Komponistengeneration zunehmend der Generalbass-Stil wichtiger zu werden begann. Ganz anders als oben geschildert und als man den Westfälischen Frieden auch heute sieht, wurde er zu der Zeit aufgefasst, in der Karl Amadeus Hartmanns 1936 komponiertes Friede Anno 48 entstand. Die NS-Führung im „Dritten Reich" sah nicht etwa den Dreißigjährigen Krieg, sondern den Friedensschluss von 1648 als eine der großen Katastrophen der deutschen Geschichte. Und nicht nur das: Der Westfälische Friede wurde Teil der eigenen Kriegspropaganda und galt- neben dem so genannten „Schandfrieden" von Versailles - als wichtigstes historisches Ereignis, auf dem die Kriegsideologie der Nazis aufbaute. So sagte Adolf Hitler gegenüber seinen Generälen: ,,Der Westfälische Friede hat die deutsche Ohnmacht zu einem Staatsgesetz erhoben. Ich habe immer meinen Leuten gesagt: Nicht um die Beseitigung des Versailler Vertrages handelt es sieh, sondern um die des Westfälischen Friedens." Im selben Sinne schrieb Joseph Goebbels kurz nach Kriegsbeginn in sein Tagebuch: ,,Der Führer spricht über unsere Kriegsziele.( ... ) Er denkt an eine restlose Liquidation des Westfälischen Friedens, der in Münster abgeschlossen ist und den er in Münster beseitigen wilL Das wäre unser ganz großes Ziel, Wenn das gelungen ist, dann können wir beruhigt die Augen schließen." Wenn Karl Amadeus Hartmann im Jahr 1936 einer großen Chorkomposition den Titel Friede Anno 48gibt, wenn in diesem Werk der Krieg die Katastrophe darstellt und der Frieden am Ende als Hoffnung und Erlösung aufschimmert, dann ist dies eine enorm politische Aussage: Hartmann stellt in Friede Anno 48 nicht nur den deutschen Kriegsvorbereitung der 1930er Jahre ein pazifistisches Statement gegenüber, sondern wendet sich mit dieser Sichtweise dezidiert gegen das NS-Geschichtsbild und der daraus resultierenden Propaganda. Möglich war dem 1905 in München geborenen Hartmann diese explizit antifaschistische Haltung, da er sich seit 1933 bewusst dem deutschen Kulturleben verweigert hatte. Die Weigerung, seinen „Ariernachweis" abzugeben, verwehrte ihm die Mitgliedschaft in der „Reichsmusikkammer", die für alle Komponisten verpflichtend war. So ging Hartmann den Weg in eine „innere Emigration". Seine Kompositionen versuchte er ins Exil zu schicken, indem er sich soweit es ihm möglich war - um Aufführungen im Ausland bemühte. Friede Anno 48 wurde allerdings zu Lebzeiten Hartmanns nicht gespielt und erlebt erst 1968, fünf Jahre nach Hartmanns Tod, in Köln seine Uraufführung. Friede Anno 48 eröffnet mit einem Sopransolo, das mit der Gryphius-Zeile „Welt, rühme, was du willst, ich muss die Trübsal preisen" die Perspektive vorgibt. Daran schließt sich ein Chorsatz auf Gryphius' Sonett „Tränen des Vaterlandes" an. Sehr plastisch und nachdrücklich deutet Hartmann diesen Text musikalisch aus, doch er setzt auch eine Verbindung zum NS-Terror in Deutschland: In alle seiner nach 1933 entstandenen Kornpositionen baut Hartmann ein Zitat des jüdischen Liedes Eliahu Hanavi ein, dessen Text die Hoffnung auf das Erscheinen des Messias - also die Erlösung des jüdischen Volkes - ausdrückt. Diese als Chiffre für die jüdische Kultur in Deutschland zu verstehende Melodie schreibt Hartmann parallel zu dem „Verschwinden" der Juden sukzessive aus seiner Musik heraus. In Friede Anno 48 ist Eliahu Hanavi nur noch rudimentär, als Themenkopf eines Fugatos auf die Textzeile ,, ... und Tod, der Herz und Geist durchführet" zu hören. In den weiteren Gedichten Gryphius', die Hartmann für Friede Anno 48 auswählte, wechseln Beschreibungen der Kriegsschrecken mit Schilderungen der Liebe und der Trauer ab. Das Stück endet mit den einzigen nicht von Gryphius entlehnten Zeilen: ,,Friede den Menschen, Friede den Toten, Friede den Lebenden, Friede". Damit weist Hartmann über den historischen Westfälischen Frieden hinaus. Er formuliert mit „Friede den Lebenden" ganz explizit seinen Wunsch nach einer friedlichen Welt angesichts des aufziehenden Zweiten Weltkrieges.  

10.11.2013-Allerheiligenhofkirche München

Ablauf:


Kammerkonzert im Rahmen des Spielplans der Bayerischen Staatsoper

Besetzung

Soli:

Hartmann:
Iulia Maria Dan – Sopran

Schütz:
Wagner Ulrike (SWV 346),
Anastasiya Peretyahina (SWV 354),
Ursula Schulze (SWV 354) - Sopran
Ruth Irene Meyer (SWV 367) - Alt
Sebastian Schmid (SWV 367) - Tenor
Thomas Briesemeister (SWV 361, 346), Thomas Haiber (SWV 361, 346 und 367) - Bass

Orchester:

Corinna Desch, Martin Klepper – Violine
Olga Watts – Orgel
Klavier – Jean Pierre Cortot
Axel Wolf – Laute, Theorbe
Günter Holzhausen – Violone

Dirigent:

Ltg. Wolfgang Antesberger